Stromleitung vom Nachbarn darf beseitigt werden

Käufer ist nicht an Gestattung des Voreigentümers gebunden

Hat ein Grundstückseigentümer seinem Nachbarn gestattet, eine Versorgungsleitung (im gegenständlichen Fall ein unterirdisch verlegtes Stromkabel) durch sein Grundstück zu verlegen und wird das Grundstück später verkauft, ist der Käufer nach einem Urteil des Bundesgerichtshofes vom 16.05.2014 (Az.: V ZR 181/13) an diese Gestattung nicht gebunden und kann auch noch nach Jahrzehnten die Leitung entfernen. Der Anspruch auf Beseitigung der Versorgungsleitung unterliegt zwar der regelmäßigen Verjährungsfrist von drei Jahren, mit der Folge, dass der Käufer nach Ablauf der Frist von dem Nachbarn keine Beseitigung mehr verlangen kann. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (Urteil vom 28.01.2011, Az.: V ZR 141/10) führt dies jedoch nicht dazu, dass der neue Eigentümer die über sein Grundstück verlaufende Versorgungsleitung des Nachbarn auch künftig zu dulden hätte. Der neue Eigentümer ist vielmehr berechtigt, die ihn beeinträchtigende Versorgungsleitung auf eigene Kosten selbst zu beseitigen.

 

Keine Duldungspflicht

Das „Selbsthilferecht“ würde nur dann entfallen, wenn der neue Eigentümer zur Duldung der Versorgungsleitung verpflichtet wäre. Eine Duldungspflicht wurde vom Gericht jedoch verneint, da für die Versorgungsleitung keine Grunddienstbarkeit im Grundbuch eingetragen wurde und der Käufer nicht an die Gestattung des Voreigentümers gebunden ist. Denn eine lediglich schuld­recht­li­che Gestattung bindet nur die unmittelbaren Vertragspartner, nicht aber einen Käufer des Grundstückes als Einzelrechtsnachfolger. In dem Kaufvertrag mit dem Vor­ei­gen­tü­mer wurden auch keine Duldungspflichten ausdrücklich übernommen. Ein dahin gehender Übernahmewille des Erwerbers kann auch nicht unterstellt werden, sondern müsste im Kauf­ver­trag deutlich zum Ausdruck kommen. Auch eine etwaige Kenntnis des Erwerbers von der Versorgungsleitung lässt nicht auf eine konkludente Schuldübernahme- oder Schuldbeitrittsvereinbarung mit dem Vor­ei­gen­tü­mer schließen. Eine Duldungspflicht ergibt sich ferner nicht aus einem Notleitungsrecht, da das Nachbargrundstück auch ohne Inanspruchnahme fremder Grundstücke und ohne unverhältnismäßige Kosten an das Stromnetz angeschlossen werden könnte.

 

Keine Verwirkung

Das Recht, die Versorgungsleitung selbst zu beseitigen, ist auch nicht verwirkt. Denn der Voreigentümer kann sein Recht nicht verwirken, so lange er untätig bleibt, weil sich die auf seinem Grundstück verlegte Ver­sor­gungs­lei­tung aufgrund seiner Gestattung für ihn als rechtmäßig darstellt. Der Eigentümer hat durch die jahrzehntelange Duldung auch nicht das Recht verloren, die Gestattung zu widerrufen. Andernfalls müsste ein Grund­stücks­ei­gen­tü­mer, schon um einen Rechtsverlust durch Verwirkung zu vermeiden, nach einer gewissen Zeitspanne gegen den Nachbarn vorgehen, auch wenn im Übrigen kein Anlass zum Widerruf der Gestattung besteht. Zugleich darf sich derjenige, der ein Nachbargrundstück nutzt, nach Ansicht des Gerichts nicht darauf einrichten, dass der Eigentümer, der diese Nutzung über einen langen Zeitraum gestattet hat, auch künftig auf die Geltendmachung seiner Eigentumsrechte verzichtet. Vielmehr muss er damit rechnen, dass seine Nutzungsbefugnis enden kann und der Eigentümer dann die Beseitigung der Versorgungsleitung verlangen wird. Selbst wenn ein Widerruf der Gestattung nur wegen eines nicht vorhersehbaren Eigenbedarfs oder aus wichtigem Grund zulässig sein sollte, ändert dies nichts daran, dass die Gestattung auf einer lediglich schuldrechtlichen Vereinbarung mit dem Voreigentümer beruht, welche mit dem Verkauf des Grundstücks erloschen ist. Die Gestattung muss vom Käufer des Grundstücks damit überhaupt nicht widerrufen werden, damit er zur Beseitigung der Versorgungsleitung berechtigt ist.

 

Tipp:

Wie das Urteil des Bundesgerichtshofes zeigt, ist eine lediglich schuld­recht­li­che Vereinbarung über die Verlegung einer Versorgungsleitung auf einem Nachbargrundstück für eine dauerhafte Absicherung nicht ausreichend. Denn eine solche Vereinbarung gilt nur gegenüber den unmittelbaren Vertragspartnern, nicht aber gegenüber einem Rechtsnachfolger, wenn das Nachbargrundstück verkauft wird. Wenn eine Versorgungsleitung (zum Beispiel eine Strom-, Gas-, Wasser- oder Entwässerungsleitung) auf einem Nachbargrundstück verlegt wird, sollte diese Nutzung daher immer mit einer im Grundbuch eingetragenen Grunddienstbarkeit (sog. Leitungsrecht) dinglich abgesichert werden. Denn nur so wird sichergestellt, dass die Versorgungsleitung solange auf dem Nachbargrundstück verbleiben darf, als der Berechtigte ein Interesse daran hat.

Rainer Schmitt
Jurist beim Eigenheimerverband Bayern e.V.


 

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