Mit Minikugeln das Klima retten?
Stromlos zum klimatisierten Haus
Bereits heute werden in Deutschland rund 15 % der Primärenergie für Kühlung und Klimatisierung aufgewendet. Und der Anteil am Energieverbrauch für die Klimatisierung von Räumen steigt weiterhin. In zehn Jahren, so rechnen Forscher, könne man mit einer Verdopplung der zu kühlenden Gebäudefläche rechnen. Weil das einen Großteil der Energie verschlingen kann, setzen sie daher auf passive Kühlung – durch Latentwärmespeicher.
Foto: lehmorange
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Latent leitet sich von lateinisch „latere“, „verborgen sein“, ab. Ein Latentwärmespeicher kann thermische Energie, also Wärme, quasi verborgen, ähnlich wie ein Akku aufnehmen, über lange Zeit speichern und wieder abgeben. So weit die Theorie!
In der Praxis erreicht man das mit sogenannten Phasenwechselmaterialien – Phase Change Materials oder kurz PCM genannt. In der Bautechnik verwendet man beispielsweise feste Paraffine und Salzhydrate. Sie haben die Eigenschaft, bei Raumtemperaturen zwischen 20 °C und 26 °C zu schmelzen. In diesem Schmelzprozess nehmen sie viel Wärme aus der Umgebung auf – und reduzieren so den Temperaturanstieg.
Sobald es aber wieder kälter wird in der Umgebung, beispielsweise nachts, wenn die Umgebungstemperatur fällt, gibt das Parafin die aufgenommene Wärme langsam wieder ab und verfestigt sich erneut. Damit ist es bereit für die Wärmeaufnahme am nächsten Tag.
Ein altes Prinzip neu gedacht
Dieses Prinzip ist nicht neu. Bereits vor etwa 60 Jahren gab es Versuche, Phasenwechselmaterialien zur Klimatisierung zu nutzen. Doch lange Zeit scheiterte es daran, diese Werkstoffe in Baumaterialien einzubringen. Erst die Idee von Prof. Dr. Volker Wittwer vom Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE brachte den Durchbruch. Er wollte das Wachs in winzige Kügelchen verpacken und dann in herkömmliche Baustoffe einfügen.
Die Forscher des Fraunhofer-Instituts ISE konnten diese Idee jedoch nur mithilfe eines großen Chemieunternehmens realisieren: Gemeinsam mit der BASF wurde diese energiesparende Alternative zu Klimaanlagen entwickelt. Bei der BASF wird das Produkt Micronal® PCM genannt.
Dabei handelt es sich, vereinfacht gesagt, um mikroskopisch kleine Hohlkügelchen, gefüllt mit Paraffin. Und auch in dieser Gestalt schmilzt das Paraffin bei Raumtemperaturen zwischen 20 °C und 26 °C und nimmt viel Umgebungswärme auf.
So sind einige Baustoffe bereits mit dem Phasenwechsel-Material ausgerüstet – mit Paraffin oder der Alternative Salzhydrat. Sinken die Raumtemperaturen unter 20 bis 22 °C, beginnt der Kristallisationsprozess, und die aufgenommene Wärmeenergie wird wieder an die Umgebungsluft abgegeben.
Foto: DuPont
PCM im Einsatz
Baustoffe mit PCM gibt es beispielsweise als Innenputz, im Gipskarton – und sogar ökologisch als Lehmbauplatte. Sie sind entweder mit winzigen paraffingefüllten Micronal-Kugeln vermischt, oder das PCM ist zu einer Masse verdichtet und eingepackt – wie bei den Energain-Platten der Firma DuPont.
PCM-haltige Baustoffe sind zwar teurer als herkömmliche. Die Investition aber lohnt sich, meint Bauherr Jean Claude Wauters. Er hat 120 m2 der DuPont-Energain-Platten unter dem Dach in sein neues Haus eingebaut, weil er keine Klimaanlage betreiben wollte. Trotz großer Glasfensterflächen im Raum funktioniert das Prinzip. Der Luxemburger ist begeistert. „Wir sind jetzt im zweiten Sommer. Ich muss sagen, dass wir eine ganz gute Erfahrung gemacht haben. Also, man merkt, dass man mindestens eine Woche länger die Hitze draußen hält.“
Auch die IBA, die Internationale Bauausstellung in Hamburg-Wilhelmsburg, präsentiert ein spannendes Projekt mit der zukunftsweisenden Technologie. Beim sogenannten „Smart-ist-Grün“-Haus sind die Vorhänge in den Wohnungen und im großflächigen Hauseingang ein aktiver Teil eines technischen PCM-Konzepts.
So wird dem Raum überschüssige Wärme am Tag entzogen und ein Aufheizen der Wohnung verhindert. In den kühleren Nachtstunden wird die gespeicherte Wärme wieder abgegeben. Im Sommer wie im Winter können so Temperaturspitzen abgefangen und ausgeglichen werden, wodurch ein sehr angenehmes Wohnklima entsteht.
Die cleveren PCM-haltigen Materialien kommen darüber hinaus als zentraler Heizungsspeicher in Form eines großen „Akkus“ zum Einsatz. Die überschüssige Wärme aus dem gesamten Haus, auch die der Solarthermieanlage, wird hier gespeichert und versorgt die Fußbodenheizung.
Baustoffe mit PCM
Auch der klassische, bewährte Baustoff Lehm wird zum Hightech-Modul. Lehmbauplatten mit PCM machen den atmenden Lehm nebenbei zur kleinen Klimaanlage. Lehm kann ohnehin durch Aufnahme und Abgabe von Wasserdampf entscheidend das Raumklima verbessern.
Der Hersteller Lebast verbindet PCM mit den Lehmplatten. So erhalten die Platten einen klimatisierenden Zusatznutzen, nämlich einen Überhitzungsschutz im Sommer. Die Verarbeitung geht ebenso schnell und problemlos wie bei herkömmlichen Lehmbauplatten.
Das Gleiche gilt beispielsweise auch für Gipsplatten mit PCM. Sie werden wie herkömmliche Platten verarbeitet. Micronal-PCM-modifizierte Trockenbauplatten aus der Produktfamilie „alba“ sind bei Saint-Gobain Rigips in der Schweiz erhältlich. Sie enthalten 3 kg Micronal® PCM/m2 und sind mit einer Dicke von 2,5 cm einer konventionellen Wandstärke von 12,5 cm gleichzusetzen.
„Diese Materialien können dazu führen, dass man alle Vorteile des Leichtbaus behält, aber gleichzeitig den thermischen Komfort eines Massivbaus nachrüstet“, meint Dr. Peter Schossig vom ISE.
Alternativ für den Innenausbau gibt es auch Gips-Innenputz mit PCM. Er unterscheidet sich dabei nur durch die Inhaltsstoffe von herkömmlichem Gipsputz und wird ebenso verarbeitet und ebenso aufgetragen. Der PCM-Putz weber.mur clima 26 ist mit den Minikügelchen lieferbar und wird zur Verarbeitung direkt auf der Baustelle fertig gemischt. Über die Veränderung der Schichtdicke kann der Wärmespeicher nach Bedarf gesteuert werden.
Modernstes Isolierglas mit PCM als Speichermaterial wird mittlerweile auch für Fenster und Glasfassaden von der Schweizer Firma GLASSX AG angeboten. Kern der Technologie ist eine dünne Schicht aus lichtdurchlässigem PCM. „15 mm dieses Materials können bei Raumtemperatur so viel Wärme aufnehmen wie eine 25 cm dicke Betonwand“, schreibt dazu GLASSX.
Warum kein Paraffin aus der Wand läuft
Der generelle Vorteil von PCM-haltigem Material ist: Es lässt sich einfach bearbeiten, ist langfristig energiesparend und ideal für Sanierungen und Leichtbauhäuser. Der Nachteil: Es ist noch recht teuer. Als Quadratmeterpreis einschließlich Installation rechnet DuPont ca. 70–80 Euro. Zudem sind PCM-Baumaterialien nicht im Baumarkt erhältlich, und man benötigt Fachberatung.
Was geschieht z.B., wenn Löcher in die Wand gebohrt oder Nägel eingeschlagen werden? Läuft das Wachs dann aus der Wand oder hält der Nagel das Bild nicht mehr?
Nichts davon geschieht, versichert Peter Schossig: „Der Vorteil der Mikroverkapselung ist unter anderem, dass sie nachher an der Wand arbeiten können, sprich bohren, hämmern, dübeln oder einen Nagel einschlagen, ohne dass irgendetwas herausrinnt. Die Kapseln sind ja kleiner als ein menschliches Haar und können vom Nagel praktisch nicht beschädigt werden.“
Wichtig ist bei diesen intelligenten Baustoffen, dass sie in die Planung der Renovierung oder des neuen Hauses mit einbezogen werden, da sie auf das Energiemanagement des Hauses Auswirkungen haben. Energieeinsparungen von durchschnittlich 35 % bei Klimaanlagen sind möglich und bis zu 15 % bei Heizkosten.
Der Kühleffekt von PCM-Produkten in modernen Gebäuden liegt in der Größenordnung herkömmlicher Gebäudekühlung. Damit können Kühlgeräte tagsüber die meiste Zeit abgestellt werden bzw. laufen nur nachts. Im besten Fall kann man mit PCM gänzlich auf Kühlgeräte verzichten, oder sie können wesentlich kleiner dimensioniert werden. Anders als eine Kühlanlage ist das Material zudem komplett wartungsfrei.
Aber einen kleinen Haken hat die Sache schon: Das Gebäude muss von der gespeicherten Wärme auch irgendwie befreit werden. Das geschieht, wenn kein zentraler PCM-Speicher wie im IBA „Smart-ist-Grün“-Haus vorhanden ist, notfalls ganz konventionell – durch Nachtlüftung und Durchzug. Lassen sich Fenster aber nicht öffnen, was im Büro der Fall sein kann, helfen nur, etwas aufwändig, Wasser führende Matten, die im PCM-Baustoff integriert sind, um die Wärme abzuführen.
In Zukunft kann PCM seinen Teil zur Klimaschonung beitragen – und wer heute PCM einbaut, hat seine Klimaanlage unsichtbar in der Wand.
Der Eiswürfel als Phasenwechselmaterial
Ein anschauliches Beispiel für ein solches Phasenwechselmaterial ist der Eiswürfel: Beim Schmelzen in einem Getränk nimmt er Wärme aus der Umgebung auf, beim Erstarren im Eisfach gibt er Wärme an die Umgebung ab. Während der Phasenumwandlung von fest zu flüssig und umgekehrt bleibt seine Temperatur konstant bei 0 °C. Diese in der Phasenumwandlung versteckt gespeicherte Wärme wird als latente Wärme bezeichnet.
Quelle: BASF
Weitere Informationen
- IBA Hamburg GmbH
Tel. 0 40/22 62 27-0
www.iba-hamburg.de
- DuPont de Nemours (Luxembourg) S.à.r.l
www.DuPont.com
- Fraunhofer-Gesellschaft zur Förderung der angewandten Forschung e.V.
www.fraunhofer.de > Forschungsthemen > Energie/Wohnen > Energiesparsam wohnen > Latentwärmespeicher: Intelligente Baumaterialien sparen Energie
- Service der Gütegemeinschaft PCM e.V.
Tel. 07 11/9 76 58-25
www.pcm-ral.de/mitglieder/basf.html
- Lebast Lehmbaustoffe
Tel. 0 96 02/9 39 01-01
www.lebast-lehmbaustoffe.de > Lehmbauplatte mit Latentwärmespeicher
- lehmorange
Tel. 0 96 02/61 91 49-0
www.lehmorange.de
- Ansprechpartner für Technische und allgemeine Anfragen zu Micronal® PCM (BASF)
Tel. 06 21/60 99-5 10
www.micronal.de
- Saint-Gobain Weber GmbH
Tel. 02 11/9 13 69-0
www.sg-weber.de > Fassade/Wand > Produkte > gipsprodukte > webermur-clima-26