Lebendig und ökologisch wertvoll: die Dachbegrünung
Trotz gestiegener Einsichten in die Notwendigkeit einer ökologisch verträglicheren Flächennutzung werden immer noch bestehende Freiflächen in großem Maße versiegelt. Allein in der Bundesrepublik gehen dadurch täglich 113 ha Boden unwiederbringlich verloren (Umweltbundesamt, 2007). Deutschlandweit sind rund 47.000 km2 mit Siedlungs- und Verkehrsflächen überbaut. Neben den befestigten Verkehrswegen, Abstell- und Lagerplätzen tragen vor allem die Gebäude mit einem Anteil von über 50 % maßgeblich zur Flächenversiegelung bei.
Fotos: Eppel
Das Problem des gigantischen Flächenverbrauchs lässt sich durch Begrünungsmaßnahmen auf den betreffenden Dächern sicher nicht lösen. Aber durch begrünte Dächer können überbaute, verloren gegangene Vegetationsflächen nahezu flächengleich ersetzt werden. Damit lassen sich nicht nur Ausgleichs- und Ersatzlebensräume für die Flora und Fauna schaffen, auch die Bewohner im Siedlungsbereich profitieren von den wohltuenden Wirkungen des Gründachs.
Trotzdem sind in Deutschland noch immer ca. 2 Milliarden m2 Flachdächer, überwiegend bei Industrie- und Gewerbebauten, ohne Begrünung. Dazu kommen noch geneigte Dachflächen, die bis 15° Neigung ebenfalls günstige Begrünungsvoraussetzungen bieten. Es gibt also noch viel zu tun, im privaten Wohnumfeld, im Geschosswohnungsbau, aber auch in unseren Gewerbegebieten.
Ersatzlebensräume für Flora und Fauna
Insbesondere nicht direkt zugängliche oder nutzbare Dachflächen bieten hervorragende Möglichkeiten zur Etablierung selten gewordener Pflanzenarten. Zumal die Standortbedingungen auf dem Dach mit einhergehender Trockenheit, Einstrahlungsintensität, Frostgefährdung und Stickstoffarmut den natürlichen Standortbedingungen von gefährdeten Trockenrasengesellschaften entsprechen.
Deshalb eignen sich viele dieser dort beheimateten Pflanzenarten, wie z.B. Küchenschelle (Pulsatilla), Felsennelke (Petrorhagia), Kugelblume (Globularia) oder Gelber Lein (Linum flavum), auch für die extensive Dachbegrünung. Die neu geschaffenen Lebensräume übernehmen eine wichtige Funktion als Trittsteinbiotop in naturferner Umgebung, wohl wissend, dass damit die Artenvielfalt und Zusammensetzung natürlicher Pflanzengesellschaften nicht reproduziert werden kann.
Natürliche Klimaanlage
Gründächer erwärmen sich bei heißer Witterung wegen ihrer großen Verdunstungsleistung und Wärmespeicherung der Erdschicht wesentlich weniger als herkömmliche „harte“ Bedachungen. In der Vegetationsperiode können so, je nach Aufbaudicke, über 40 % der Einstrahlungsenergie durch Boden und Pflanzen „abgepuffert“ werden. Sie verhindern damit ein Aufheizen der Gebäudehülle und sorgen für einen natürlichen Klimaausgleich, auch im jahreszeitlichen Temperaturverlauf.
Im Winter wirkt die Dachbegrünung wie eine sich anpassende Wärmedämmung und sorgt in Kombination mit geeigneten Baustoffen im Aufbau des Gründachs für geringere Wärmeverluste während der Heizperiode. Je nach Bauweise lassen sich damit sogar bis zu 3 l/m² Heizöl im Jahr sparen.
Wasserspeicher, Bodenfilter und Sauerstoffspender
Darüber hinaus verringern Gründächer die Wirkung starker Regengüsse. Sie entlasten damit nicht nur die Kanalisation, sondern verhindern auch Hochwasser und Überschwemmungen. Übers Jahr gesehen halten begrünte Dächer wenigstens 50 % des anfallenden Niederschlagswassers in ihrem Aufbau zurück. Das heißt, nur ein Bruchteil des Regenwassers gelangt über Gründächer zeitlich verzögert in die Vorfluter. Über Pflanzen und Boden werden zusätzlich noch Luftschadstoffe gebunden und gefiltert, gleichzeitig geben die Pflanzen lebenswichtigen Sauerstoff ab.
Neben der aufgezeigten ökologischen Leistungsfähigkeit lassen sich bei Gründächern aber auch noch bauphysikalische und nicht zuletzt städtebaulich-freiraumplanerische Wirkungen nachweisen. Bauphysikalische Wirkungen zeigen sich vor allem im Schutz und in der Langlebigkeit der Dachkonstruktion sowie in der Schallabsorption. Städtebaulich wirksam wird die Dachbegrünung durch die Bereitstellung nutzbarer Freiflächen mit hohem Erlebnis- und Erholungswert bis hin zum Produktionsstandort für die Eigenversorgung mit Obst und Gemüse sowie durch die ästhetische Verbesserung des Wohnumfeldes.
Zusätzliches Gewicht beachten
Jede Begrünungsmaßnahme bedarf vorab einer Überprüfung der baulichen und technischen Voraussetzungen, um später auch eine störungsfreie Funktion von Dach und Begrünung gewährleisten zu können.
Der Aufbau für ein Gründach mit Dränung, Substrat und Pflanzen bringt z.B. zusätzliches Gewicht auf das Dach. Für Dünnschicht-Aufbauten bis 10 cm Dicke sind Auflasten von 80–120 kg/m² einzuplanen. Diese Nutzlast kann z.B. durch das Abräumen einer 5 cm dicken Kiesschicht auf dem Dach bereitgestellt werden. Notwendigerweise zu berücksichtigene Schneelasten bleiben davon übrigens unberührt, weil diese bei der statischen Berechnung anderweitig berücksichtigt werden. In Zweifelsfällen sollte die Nutzlastreserve eines Daches, die für die Begrünung in Anspruch genommen wird, beim Statiker oder Bauunternehmen erfragt werden.
Schutz vor Durchwurzelung
Besonderes Augenmerk muss auf die Funktionsfähigkeit der Dachabdichtung gelegt werden. Bei Neubauten lassen sich durch Verwendung von wurzel- und rhizombeständigen Abdichtungsbahnen gleich optimale Begrünungsvoraussetzungen schaffen.
Bei Sanierungsmaßnahmen und nachträglichen Begrünungen genügt die vorhandene Bitumendichtung den Anforderungen aber oft nicht. Hier kann dann durch Einbau einer zusätzlichen bitumenbeständigen Wurzelschutzbahn Abhilfe geschaffen werden. Geeignet hierfür sind Werkstoffe, die ein Prüfzeugnis der Wurzelbeständigkeit gemäß FLL-Richtlinie (zwei- bzw. vierjährige Prüfung unter Extrembedingungen) vorweisen können. Eine Nachfrage beim Hersteller der Abdichtung sorgt hier für Klarheit.
Dichtigkeit prüfen
Leider lässt die Qualität der handwerklichen Verarbeitung bei den Abdichtungen manchmal zu wünschen übrig. Deshalb ist vor Beginn der Begrünungsmaßnahme unbedingt eine Dichtigkeitsprüfung vorzusehen.
Neben einer Reihe technischer Prüfmethoden hat sich das Überstauen der Abdichtung mit Wasser bewährt. Es sollte dabei ein Mindestüberstau von 10 cm und eine Anstaudauer von 72 Stunden angestrebt werden. Die vorhandenen Dachabläufe werden für diesen Zweck mit einem kurzen Rohrstutzen oder mit einer Verschlusskappe abgedichtet. Bei geneigten Dachflächen kann durch Einsatz eines Regners eine flächige Bewässerung zu Prüfzwecken herbeigeführt werden.
Grafik: Eppel
Schicht für Schicht zum Begrünungserfolg
Technisch gesehen besteht das Gründach aus einer Abfolge aufeinander aufbauender Funktionsschichten, die Dichtigkeit, Entwässerung und Pflanzenwachstum bewerkstelligen müssen.
Abbildung 1 zeigt den Aufbau eines Gründaches mit den dazugehörigen Funktionsschichten (von unten nach oben):
- Wurzelschutzschicht
als FLL-geprüfte wurzel- und rhizombeständige Dachabdichtung aus Kunststoff, Elastomeren oder Spezialbitumen oder als zusätzliche Schutzschicht gleicher Werkstoffart bei konventioneller Abdichtung. Sie verhindert das Eindringen von Niederschlagswasser, aber auch von Wurzeln bzw. Rhizomen in die Dachkonstruktion und führt das Wasser oberflächig zu den Entwässerungspunkten ab. - Schutzschicht
als Kunststoffplatten oder -matten ≥ 6 mm Dicke oder aus Geo-Textilien bzw. Vliesen ≥ 250 g/m². Sie verhindert eine mechanische Beschädigung der Dachabdichtung bei der Herstellung, Pflege und Wartung des Gründachs. - Dränschicht
als ca. 5 cm dicke mineralische Schüttung aus dränfähigem Kies, Lava oder Blähton oder gewichtsreduzierenden Kunststoffelementen. Sie verhindert Staunässe bei Pfützenbildung auf dem Dach und nimmt das Überschusswasser aus der Vegetationstragschicht auf. - Filterschicht
aus Geo-Textilien bzw. Vliesen ≥ 100 g/m². Sie verhindert, dass Feinteile aus der Vegetationstragschicht in die Dränschicht ausgewaschen werden. - Vegetationstragschicht
als mineralisches Gemisch aus Lava, Blähton, Bims oder Ziegelsplitt mit geringen Anteilen an organischer Substanz in einer Schichtdicke von 6–10 cm; herkömmlicher Boden oder Kultursubstrate sind für Dachbegrünungen ungeeignet, deshalb nur spezielle Dachsubstrate (z.B. extensive Dachgartenerde) vom Profi verwenden. Sie bildet den durchwurzelbaren Raum für die Pflanzen und speichert pflanzenverfügbares Wasser bzw. Nährstoffe.
Wenn das Flachdach ein Gefälle von mindestens 3 % aufweist, kann auch auf den Einbau einer Drän- und Filterschicht verzichtet werden. Es wird dann lediglich eine Vegetationstragschicht aus porigen Mineralstoffen wie Lava, Bims oder Blähton der Körnung 2–12 mm aufgebracht, in der dann sowohl Pflanzen wachsen können als auch das Überschusswasser abgeleitet wird.
In solchen Einschichtaufbauten wachsen allerdings überwiegend nur Mauerpfeffer- und Steinbrecharten (Sedum spec. und Saxifraga spec.), die mit den extremen Bedingungen am besten zurechtkommen.
Tipps zur Pflanzung
Bei der Pflanzung auf dem Dach empfiehlt es sich, Jungpflanzen mit Topfballen von ca. 4 cm Durchmesser zu beschaffen, weil handelsübliche Topfgrößen in der dünnen Substratschicht kaum pflanzfähig sind. Außerdem ist darauf zu achten, dass bei der Anzuchtware ein abgemagertes Kultursubstrat verwendet wurde, um den Pflanzen auf dem Dach das Anwachsen zu erleichtern.
Es sollten stets mehrere Arten in Gruppen gepflanzt werden. Die Pflanzdichte beträgt je nach Art zwischen acht und zwölf Stück pro m².
Alternativ zur Pflanzung kann auch mit Pflanzenteilen in Form einer Sprossenaussaat gearbeitet werden. Hierbei werden überwiegend Sedum-Sprossen (z.B. auf 1 m² 60 g Sprossen von Mauerpfeffer-Arten) auf der Bodenoberfläche verteilt, die innerhalb weniger Tage ein Wurzelwerk ausbilden. Auch eine Aussaat von trockenheitsverträglichen Kräutern und Gräsern wäre denkbar, erfordert aber die meiste Geduld, bis flächiges Grün erlebbar wird.
Unabhängig von der Begrünungsmethode sind zur Anfangsentwicklung der Vegetation ausreichende Wassergaben vonnöten. Am besten ist es, in dieser Zeit einen Regner auf dem Dach vorzuhalten, um eine automatisierte bedarfsgerechte Beregnung zu ermöglichen. Im weiteren Verlauf der Vegetationsentwicklung kann dann weitgehend auf Beregnungswasser verzichtet werden. Ausnahmen bilden niederschlagsarme Gebiete mit langen Trockenphasen. Hier kann eine attraktive Artenvielfalt oft nur durch eine Beregnung in Trockenperioden aufrecht erhalten werden.
Da in den mineralischen Substraten so gut wie keine Nährstoffe enthalten sind, empfiehlt es sich, alle zwei Jahre einen Mehrnährstoffdünger zu verabreichen. Im Übrigen kann sich die Pflege auf das vorsichtige Entfernen von unerwünschten Beikräutern und Gehölzsämlingen beschränken. Auch die Dachabläufe und Rinnen müssen stets von einer Begrünung freigehalten werden. 30 cm breite Kiesstreifen um die Entwässerungseinrichtungen herum erleichtern die Pflege.
Dachbegrünung braucht Profis
Auf kleineren Dachflächen, wie z.B. Vogelhäuschen, Müllbox, Carport oder Garage, führt die Eigenleistung gepaart mit Experimentierfreudigkeit meist immer zu brauchbaren Begrünungsergebnissen. Bei Dächern mit darunterliegender Nutzung als Wohn- und Arbeitsraum ist allerdings eine professionelle Beratung, Planung und Ausführung angeraten. Landschaftsarchitekten und Fachfirmen des Garten-, Landschafts- und Sportplatzbaus stehen hier als kompetente Ansprechpartner zur Verfügung.
Bei Neubaumaßnahmen lassen sich durch eine rechtzeitige Abstimmung mit der Gebäudeplanung Kosten und Nutzen einer Dachbegrünung optimieren. Grüne Dächer sind also längst kein Luxus mehr, sondern stellen eine technisch ausgereifte, ökologisch wertvolle Bereicherung im Bauwesen dar.
Weiterführende Informationen zum Thema Dachbegrünung erhalten sie auch in Form von Merkblättern zum Download bei der Bayerischen Landesanstalt für Weinbau und Gartenbau Veitshöchheim unter:
http://www.lwg.bayern.de/landespflege/12693/
Jürgen Eppel,
Bayerische Landesanstalt für Weinbau und Gartenbau Veitshöchheim,
Abteilung Landespflege
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