Altbaumodernisierung: Pfiffige Ideen für barrierefreies Wohnen
Bei der Modernisierung und Wohnungsanpassung für barrierefreies Wohnen im Altbaubestand kommt es darauf an, auch unkonventionelle Lösungen zu entwickeln. Ansonsten kann es sein, dass vorhandene Barrieren nur unter unverhältnismäßig großem Aufwand zu beseitigen sind, der den finanziellen Rahmen schnell sprengt.
Sinnvoll ist es auf jeden Fall, bei Modernisierungsmaßnahmen im Altbau, z.B. bei einer Badmodernisierung, gleich auf eine barrierefreie Ausführung zu achten. Denn z.B. eine bodenebene Dusche bietet Komfort auch für Kinder und Erwachsene ohne gesundheitliche Beeinträchtigung.
Fotos (3): Mowi Systems
In diesem Beitrag stellen wir ihnen zwei Beispiele für Umbaumaßnahmen aus der Arbeit der Beratungsstelle Wohnen in München vor, die bereits verwirklicht wurden. Sie zeigen, wie die vorhandenen Wohnräume an die Bedürfnisse von Menschen, die in der Bewegung sehr eingeschränkt sind, angepasst werden können, sodass das Leben in den eigenen vier Wänden weiterhin möglich ist.
Hilfsmittel zum Überwinden von Türschwellen zum Balkon
In diesem Beispiel hat die Beratungsstelle Wohnen Lösungen dafür entwickelt, wie leidige Balkon- und Terrassenschwellen mithilfe relativ einfacher Hilfsmittel überwunden werden können:
Die Ausgangssituation
Frau K. lebt in einer netten kleinen Zweizimmerwohnung zur Miete in einem Mehrparteienhaus im zweiten Stock. Die Wohnung hat einen Südbalkon, der sich entlang der beiden Zimmer erstreckt. Frau K. genießt den Balkon und setzt sich gern in die Sonne, weil sie die Wohnung nicht mehr so häufig verlassen kann.
Vor zwei Jahren wurden alle Fenster und Balkontüren des Hauses erneuert. Dadurch wurden leider die beiden Balkonschwellen im Wohnzimmer und im Schlafzimmer noch höher ausgeführt als vor der Renovierung. Eine kleine Stufe wurde noch zusätzlich eingebaut. Sie soll es erleichtern, den Höhenunterschied von 24 cm zwischen drinnen und draußen zu überwinden.
Frau K. (Jahrgang 1922) hat die Pflegestufe 1 und ist sturzgefährdet. Sie nutzt aufgrund einer Polyneuropathie (Erkrankung des peripheren Nervensystems unterschiedlichster Ursache, die mit Muskelschwäche und Gefühlsstörungen einhergeht) und Rheuma derzeit einen Rollator oder eine Gehhilfe. Sie hatte zuletzt durch einen Sturz an der Balkonschwelle die Schulter angebrochen und versucht, nach der Reha wieder zu Hause zurechtzukommen. Ihr Anliegen ist daher: „Wie komme ich sicher raus auf meinen Balkon und in die Sonne?“
Die Suche nach der Lösung
Ein Schwellenkeil an der Balkontüre innen ist nicht möglich, weil die Höhe der Schwelle eine extrem lange Ausführung erfordert, um eine erträgliche Steigung zu erhalten. 24 cm Höhe erfordern bei 6 % Steigung (DIN 18040) eine Länge von 4 m, und selbst bei 12 % (noch gehbar mit Rollator) eine Länge von 2 m, jeweils zuzüglich einer Bewegungsfläche vor der Steigung.
Fotos (3): Stadtteilarbeit e.V. Beide Längen sind aber in dem kleinen Wohnzimmer nicht umzusetzen. Frau K. ist zudem nicht in der Lage, einen Keil wegzunehmen, wenn die Balkontüre geschlossen werden soll.
Außen kann eine Balkonerhöhung nicht als Terrassendeck ausgeführt werden, da der Balkon sich über die gesamte Fensterfront mit etwa 10 m erstreckt. Ein Terrassendeck würde extrem groß und daher extrem teuer ausfallen. Zudem ist der Balkon für die Nutzung des Rollators, besonders beim Drehen, nicht tief genug.
Lösung mit Drehsitz
Die Wohnberaterin schlägt eine ungewöhnliche Lösung vor: einen drehbaren Sitz an einer Boden-Decke-Stange. Ein Mitarbeiter vom Sanitätshaus prüft die technischen Bedingungen (Befestigung der Stange, Sitzhöhe) sowie das sichere Herumdrehen von Frau K. mit dem Sitz und erstellt ein Kostenangebot (1390 Euro).
Frau K. hat eine kleine Rente, es ist ihr nicht möglich, Eigenmittel aufzubringen. Der Vermieter, eine Wohnungsbaugesellschaft, stimmt der Lösung zu, übernimmt aber keine Kosten.
Die Wohnberaterin klärt die Finanzierung über die Pflegekasse und bereitet die Antragstellung für Frau K. vor. Da andere technische Lösungen nicht möglich sind, akzeptiert die Pflegekasse die Maßnahme als Wohnumfeldverbesserung nach § 40/4 SGB XI und sagt die Kostenübernahme zu. Frau K. ist glücklich, weil sie sich nun ohne große Anstrengung wieder in die Sonne setzen kann: „Ich schwebe jetzt auf den Balkon.“
Lösung mit pfiffigen Rampensystemen
Hat man eine Schwellensituation, die nicht so hoch ist, kommen für Balkon und Terrasse auch Rampenlösungen infrage. Entscheidend ist dabei, dass die Innenrampe im Wohnbereich so ausgelegt ist, dass sie einfach und schnell wieder entfernt werden kann.
Rampe mit Handkurbel
Eine Lösung des Herstellers Mowi Systems (Tel. 0 50 44/8 80 82 50, www.mowi-systems.de > Rampen) ist so konstruiert, dass die wetterfeste Außenrampe aus Metall an der Schwelle anliegt und liegen bleiben kann. Die Innenrampe ist flach wie eine Fußmatte und wird bei Gebrauch mit einer Handkurbel hoch- und ausgefahren, sodass sie bis an den Rand der Außenrampe reicht.
So wird eine „Schwellenbühne“ geschaffen, die mit Rollator oder auch Rollstuhl bequem überwunden werden kann. Die Standard-Türschwellenbühne überwindet eine Höhe von bis zu 8 cm. Die Innen- wie die Außenrampe können variabel für verschiedene Türbreiten ausgelegt werden. Es sind keine baulichen Maßnahmen notwendig, die Funktion der Tür wird nicht beeinträchtigt.
Rampe mit Scharnier
Eine andere technische Lösung vom gleichen Hersteller sieht vor, dass die wetterfeste Außenrampe ebenfalls angelegt draußen verbleiben kann. Die – ebenfalls wetterfeste – Innenrampe ist über ein Scharnier mit der Außenrampe verbunden und wird bei Nichtgebrauch nach außen weggeklappt. Damit lässt sich die Tür wieder normal verschließen. Mit dieser Lösung können Höhenunterschiede von bis zu 21 cm überwunden werden.
Fotos (2): Mowi Systems
Raumfunktionen anpassen
Im folgenden Beispiel hat die Beratungsstelle Wohnen durch die Verlegung des Schlaf- und Sanitärbereichs vom Ober- ins Erdgeschoss eine passende Lösung erarbeitet, sodass der Hauseigentümer vom Pflegeheim wieder zurück in sein geliebtes Eigenheim ziehen konnte.
Die akute Problemsituation
Ehepaar L. wohnt im eigenen Haus aus den 50er Jahren. Bei einem Sturz zog sich Herr L. einen Oberschenkelhalsbruch zu. Die Folge war ein Krankenhausaufenthalt mit anschließender Reha. Danach musste Herr L. in ein Pflegeheim umziehen, da die häuslichen Wohnverhältnisse für seine Pflege nicht geeignet waren.
Herr L. hatte starkes Heimweh, wodurch sich sein Gesamtzustand verschlechterte, er saß zeitweise im Rollstuhl, teilweise konnte er auch einen Rollator benutzen. Eine Prognose zur künftigen Gesundheit war zum damaligen Zeitpunkt nicht möglich.
Nach ersten Kontakten zur Beratungsstelle Wohnen und einem Hausbesuch bei Frau L. im Wohnhaus des Ehepaares wurden gemeinsam Möglichkeiten eruiert mit dem Ziel, den Ehemann wieder heimzuholen.
Die Problemanalyse vor Ort erbrachte, dass die Anpassung des Bades im Obergeschoss und die Installierung eines Treppenliftes insgesamt zu teuer wären. Stattdessen wurden Pläne erörtert, den Schlaf- und Badbereich ins Erdgeschoss zu verlegen. Wichtig hierbei war auch die Möglichkeit, einen Großteil der damit verbundenen Kosten über Zuschüsse und Kostenträger abzudecken.
Die Familie entschied sich für die Umnutzung des zu der Zeit noch unbeheizten Gäste-WCs im Erdgeschoss und zum Umbau desselben zu einem Dusch-WC für alle sanitären und pflegerischen Bedürfnisse.
Fotos: Stadtteilarbeit e.V. Die nächsten Arbeitsschritte waren dann die Kostenerfassung und die Antragstellung bei den Kostenträgern. Die Architektin der Beratungsstelle Wohnen (Adresse siehe Text unten) übernahm die Ausschreibung, Planung sowie in der Folge dann die Bauleitung.
Die Lösung
Praktisch, kreativ und schön anzusehen durch Überlagerung zweier Nutzungsmöglichkeiten: ein mit (Dusch-)Rollstuhl überfahrbares WC und ein unterfahrbares Waschbecken.
Die Details
Rutschfeste Fliesen im Dusch-/WC-Bereich; Einbau eines Bodenablaufs sowie Abdichtung im Dusch-/WC-Bereich; Stützklappgriff am WC (WC als Sitzplatz) und Duscharmatur neben dem WC; vergrößertes und unterfahrbares Waschbecken; Einbau einer Mauernische (durch Verringerung der Wandstärke) und damit Platz für einen neuen Spiegelschrank; Einbau eines elektrischen Heizkörpers durch eine Raumerweiterung (tiefe Wandstärken wurden durch Nische um ca. 10 cm verdünnt).
Die Vorteile
Das Treppensteigen wurde durch diese Lösung umgangen. Der Lebensbereich des Ehemannes konnte komplett ins Erdgeschoss verlegt und barrierefrei gestaltet werden, da das dortige Gästezimmer zum Schlafzimmer mit Pflegebett umgestaltet wurde. Die häusliche Pflege wurde ermöglicht, und Herr L. kann wieder an allen familiären Aktivitäten teilhaben.
Finanzierung
Die Pflegekasse zahlte einen Zuschuss in Höhe von 2557 Euro, über das Bayerische Wohnungsbauförderprogramm aus dem Sozialen Wohnungsbau wurden 9900 Euro finanziert, der Rest wurde von Familie L. aus Eigenmitteln aufgebracht.
Kosten – Nutzen
Rechnet man die Umbaukosten von ca. 20.000 Euro, die einmalig anfallen und von denen rund 12.500 Euro über Zuschüsse abgedeckt werden, gegen die Einsparung der monatlichen Heimkosten von ca. 3500 Euro, amortisieren sich die Kosten für den Umbau innerhalb kürzester Zeit.
Das Resultat
Herr L. konnte wieder nach Hause umziehen. Seine Depression verschwand, und er befasste sich wieder intensiv mit seiner Rehabilitation.
Mittlerweile ist er zum großen Teil wieder zur selbstständigen Körperpflege in der Lage. Beim letzten Besuch öffnete Herr L. unserer Architektin ohne Zuhilfenahme seines Rollators die Haustür.
Durch enge Zusammenarbeit zwischen Architektin, Sozialfachkraft (Unterstützung bei den Finanzierungsanträgen) und regelmäßige Rückkoppelung und Gespräche mit der Familie konnte eine Situation geschaffen werden, die Herrn L. die Bewältigung seiner situationsbedingten Depression und wieder ein selbstbestimmtes Leben im Kreis seiner Familie ermöglicht.
Bernhard Reindl
Stadtteilarbeit e.V.
Beratungsstelle Wohnen
Beratung zur barrierefreien Wohnungsanpassung
Der Verein Stadtteilarbeit ist gemeinnützig und berät im Auftrag der Stadt München und des Landkreises München in allen Fragen zur altersgerechten Wohnungsanpassung und zur Finanzierung der Maßnahmen. Außerdem hilft er auch bei der Planung der Maßnahmen und beim Umbau.
Verein Stadtteilarbeit
Beratungsstelle Wohnen
Aachener Str. 9
80804 München
Tel. 0 89/35 70 43-0
www.beratungsstelle-wohnen.de
Ein Verzeichnis von Wohnberatungsstellen in ganz Bayern
finden Sie im Internet unter www.wohnberatung-bayern.de > Wohnberatungsstellen